Donnerstag, 20. Dezember 2012

Zeit des Vergessens

Das Ende des Jahres rückt näher und in dieser Zeit versuchen die Japaner sich von all den unschönen Erinnerungen und Ereignissen der letzten zwölf Monate zu befreien.
Und wie macht man das am besten? Richtig, man ertränkt all seine Sorgen in Alkohol!

Statt Weihnachtspartys gibts hier das sogenannte 忘年会 = Bōnenkai was wörtlich soviel bedeutet wie: "Treffen um das Jahr zu vergessen". Und da man seine Erinnerungen und Erlebnisse nicht nur mit den Kollegen von der Arbeit teilt, sondern auch mit privaten Freunden, Mitgliedern des gleichen Vereins, etc., findet dieses Zusammenkommen nicht nur einmal statt, sondern mehrfach. Ich persönlich wurde auf fünf Bōnenkai eingeladen und erfülle damit wohl den Standardsoll. Es gibt aber auch Leute, die zwischen 8-10 Mal das Vergessen feiern, damit es auch wirklich permanent ist!

Bereits stattgefunden haben die Treffen des Darm-Teams und die jeweiligen Bōnenkai von Herz-Kreislauf- und Gastrostation. Am Wochenende folgt dann noch das Trinken mit den Leuten vom Sōjutsu und mit den Medizinstudenten.

Diese Veranstaltungen sind ziemlich groß - das Bōnenkai des Darm-Teams war bisher das kleinste mit ca. 30 Teilnehmern, bei den anderen beiden kamen um die 60 Leute zusammen.
Dementsprechend lebhaft wird die Stimmung dann auch. Es wird meist ein großer Saal in einem Restaurant gemietet für ziemlich exakt drei Stunden. Dann gibt es Essen und Trinken, jeweils für zwei Stunden, danach muss extra gezahlt werden. Und wenn wir schon beim Preis sind: billig ist so 'ne Veranstaltung nicht, die Teilnehmer müssen zwischen 50-100€ blechen, je nachdem, welche Stellung (sprich: was für ein Gehalt) sie inne haben. Wer mehr verdient zahlt mehr. Da ich nichts verdiene zahle ich auch nicht und lasse mich dreister Weise einladen...!
Während der drei Stunden gibt es natürlich ein kleines Showprogramm, bei den Gastrochirurgen gabs ein Bingospiel und ein Schere-Stein-Papier-Turnier bei dem ich gleich mal den zweiten Platz und damit 100€ gewonnen habe (kein Scherz).
Nach dem die Zeit abgelaufen war, gab es eine kurze Abschlussrede, die daraus bestand, dass alle Gäste einmal in die Hände klatschten und sich dann sofort aus dem Staub machten. Hier gibt es kein langes Rumlingern wie in Deutschland, wo sich jeder von jedem verabschiedet oder noch die letzten Gespräche beendet werden - die Japaner sind in dieser Beziehung sehr kompromisslos, wenn Schluss ist, ist eben Schluss. Und dann wird alles Stehen und Liegen gelassen und man verlässt das Restaurant.

Da der Abend ja aber noch jung war, ging ein Teil der Vergessensgesellschaft noch Karaoke singen und ich schloss mich natürlich eifrig an. Um etwas deutsche Stimmung zu verbreiten, schmetterte ich 99 Luftballons durch den kleinen Raum (vor allem, da niemand dabei erkennen konnte, wie grottig ich tatsächlich singe). Danach wurden japanische Lieder angestimmt, es gab heiße Tanzeinlagen zu bestaunen, Ärzte die auf Tische sprangen, ich musste die Knutschattacken einer ca. 60jährigen Schwester abwehren, die just an diesem Abend entschieden hatte, dass ein nichtmal halb so alter deutscher Medizinstudent genau das Richtige für ihre Trophäensammlung wäre und als mir einer der jungen Ärzte auf die Nerven ging, kugelte ich ihm seine Schulter aus.

Mit einer erneut geschrumpften Gruppe zog ich dann noch weiter, um frittiertes Hähnchen und etwas Sake zu verschlingen. Letzten Endes kam ich um halb drei nach Hause und musste am nächsten Tag um 8 Uhr wieder in die Klinik (ging aber tatsächlich erst um 9 und verzichtet ausnahmsweise darauf, OPs zu besuchen).

Das Bōnenkai der Internisten fiel ein klein wenig ruhiger aus, auch weil weniger Teilnehmer vor Ort waren. Großes Highlight war der Krabben-Krebs-Tanz, bei dem ich natürlich mitmachen musste und den wir dann nochmal bei der zweiten Station in einer kleineren Bar vor den anderen Gästen (also wildfremden Leuten) aufführten - unter großem Applaus versteht sich.

Wer diesen Tanz für die Begrüßung bei meiner Rückkehr einüben möchte, der soll sich bitte dieses Video anschauen (und keine Sorge, es ist wirklich nicht schwer zu lernen):



(Und wer sich über den Inhalt des Lieds wundert: es handelt von der großen Liebe der Japaner für Shrimps und Krebs und in welcher Form man die jeweiligen Tierchen am besten verspeist!)


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