Samstag, 24. November 2012

Ninjas, Samurai und alte Weggefährten

Zwei Wochen Chirurgie - Check!
So, und jetzt reicht's auch wieder, oder?
Zum Glück ists nicht so schlimm, aber ich kann definitiv sagen, dass die Chirurgie mir auch zukünftig gestohlen bleiben kann.
Die Ärzte scheuen wirklich keinerlei Mühen mir ihr Lieblingsfach schmackhaft zu machen, aber Hopfen und Malz ist bei mir wohl vergeudet. Die verschiedenen Phasen, die ich während einer OP durchmache schauen ungefähr so aus:

Phase 1: reges Interesse
Einigermaßen gespannt gehe ich in den OP-Saal, natürlich schön verpackt in OP-Kittel und mit frisch gewaschenen Händen. Die Japaner lieben die in ihrem Land vorherrschende Hitze, so dass auch im OP-Saal regelmässig auf über 23°C geheizt wird. Und unter dem jeglichen Luftweg abschneidenden Kittel herrscht bald eine recht unangenehme Wärme, die mir Schweißtropfen auf die Stirn treibt.
Trotzdem vergeht die erste Stunde in der Regel recht flott - bis die nächste Phase einsetzt:

Phase 2: Langeweile
Nach dem die ersten Zugangswege zu den jeweiligen Organen freigelegt wurden, gehts an die Fisselarbeit. Jetzt werden Arterien und Venen gesucht, Fettpfropfen und Lymphknoten in mühseliger Kleinstarbeit entfernt und ich darf Magen, Darm oder Haken halten. In dieser Phase wird mir die Sicht meistens von den operierenden Ärzten versperrt, so dass meine Gedanken schon bald abdriften. In meinem Kopf dreht sich dann alles um entscheidende Fragen, wie: was esse ich heut mittag? Muss ich zu Hause mal wieder durchsaugen? Warum fängt mein rechtes Ohr immer dann an zu jucken, wenn ich mich steril gemacht habe? Aufjedenfall hat nichts davon mit Chirurgie oder Medizin zu tun.

Phase 3: Apathie
Die wohl gefährlichste aller Phasen! Langeweile vermischt sich mit Müdigkeit und bildet eine explosive Kombination! Mein Gehirn hat mittlerweile auf Schlafmodus umgeschaltet, während mein Körper mit letzter Kraft versucht, Stehen zu bleiben und nicht mit dem Gesicht zuerst in die klaffende OP-Wunde zu fallen. Meine Phantasie fängt an, jedes sichtbare Objekt in Tagträume zu verwandeln. Plötzlich werden die japanischen Chirurgen zu Skalpell werfenden Arztninjas, die in dem Körper eines gefallenen Feindes nach geheimen Techniken forschen, die ein anderer Ninjaclan dort versteckt hat.
Der Übergang zu Phase 4 ist flüssig...

Phase 4: Hunger
Noch immer stark von Phase 3 beeinflusst, also mit überschwinglicher Imaginationsfähigkeit gesegnet, drängt sich jetzt auch noch die Leere meines Magens in mein Bewusstsein. Jetzt fängt das große Fettnetz des Patienten, das mit kleinen roten Blutsflecken gesprenkelt ist, plötzlich an, wie der Belag einer köstlichen Pizza Margherita auszusehen. Das Kauterisierungsmesser verströmt leckeren Grillgeruch bei jeder zischenden Berührung mit Menschenfleisch.
Nur übermenschliche psychische Anstrengung kann mich jetzt noch im Zaun halten. Glücklicherweise bleibt den anderen Anwesenden verborgen, wie mein Speichel hinter meiner Maske aus meinem Mund fließt.

Phase 5: Euphorie
Die OP ist vorüber, statt sieben hat sie nur sechs Stunden gedauert! Ha! Ein Kinderspiel! Das gleiche könnt ich grad nochmal durchmachen! Lächerlich!
Und dann geh ich doch nach Hause...


Neben diesen anstrengenden Arbeitstagen hatte ich diese Woche auch sonst volles Programm:
Übers Wochenende kam mich Kazumi besuchen, die vor acht Jahren meinen Platz in der Kommerfamilie eingenommen hatte. Zusammen sind wir nach Iga, DEM Ninjadorf schlechthin gefahren, wo eine (Fake-)show gezeigt wurde, aber hey, Shurikenwerfen auf knapp zehn Meter war schon ziemlich beeindruckend.
Leider hats ziemlich geschüttet, weshalb wir schnell in ein Onsen-Bad geflüchtet sind.
Am nächsten Tag besuchten wir Yagyu, das Dorf der alten Yagyu-Familie, die die Schwertmeister der Shogune stellte. Hier konnten wir zum einen die ehemalige Residenz, so wie die Gräber der Familie und das (erneuerte) Dojo betrachten. Gerade in dieser Jahreszeit war es ein wunderschöner Ausflug - das Dorf befindet sich mitten in den Bergen, also direkt im Nirgendwo und bietet vorallem viel schöne Natur.

Unter der Woche war ich Fußballspielen, hab einen Case Report vortragen müssen, hab Eintopf mit Studenten gekocht, mir den neuen Evangelionfilm im Kino angeschaut und wurd zum Essen eingeladen. Heute abend wird also nur ausgeruht, damit das klar ist!

Uuuund Photos:

 Mit Kazumi in Iga


 Im Ninja-Haus, komplett mit Falltüren, Schwertverstecken uuuund pinken Ninjas -.-


 Kurz nachdem der Daimyo diesen Helm vom Shogun verliehen bekam, verlor er sein Leben in einer großen Schlacht...vermutlich ist er zwischen zwei Bäumen hängen geblieben...(Im Uenoschloss von Iga)


In der alten Yagyu-Residenz


Eine Zeittafel, die verschiedene Schwertkünste, insbesondere aber die Yagyu-Shinkageryu abbildet.
Oben sieht man die Jahreszahlen, relativ zentral eingekästelt steht die "Shinto-Ryu", also meine Schwertschule (hier wird interessanterweise kaum zwischen Katori und Kashima Ryu unterschieden, ob das an mangelndem Wissen liegt, oder die Shinto-Schulen tatsächlich als Einheit betrachtet werden konnte ich aber noch nicht herausfinden.)


 Auf dem Weg zum Yagyu-Dojo und Grab


Vergrößert sieht man hier Ausschnitte des Yagyu-Shinkageryu Curriculums.


Und es gab viele Tsuba (noch dreimal soviele wie hier abgebildet)


Die Gräber der berühmtesten Yagyu: Munetoshi, Muneyori und Mitsutoshi


Das (erneuerte) Dojo, schön gelegen auf einem Berg mit wunderbarer Aussicht. War aber leider nicht betretbar und laut meinen Informationen wird hier auch nur noch Kendo, kein Koryu mehr trainiert.


Der Itto-Ishi. Die Legende besagt, dass ein Yagyu hier einst gegen einen Tengu, einen langnasigen Dämon, gekämpft hat. Der Schlag, der den Tengu niederstreckte, teilte auch den Stein entzwei, auf dem der Dämon stand.


Nabe(eine Art Eintopf)-Party bei mir zu Hause!

Montag, 12. November 2012

Diesmal wirklich...

Die erste Hälfte meines Japanaufenthalts ist nun rum, das erste meiner PJ-Quartale abgeschlossen - und diesmal vollkommen regulär!

Die letzten beiden Wochen habe ich (wie bereits beschrieben) bei den Gastroenterologen verbracht, um nochmal etwas Abwechslung zum Katheteralltag der Kardiologie zu bekommen. Nach zwei Wochen muss ich allerdings auch sagen, dass ich erstmal genug von der Endoskopie gesehen habe. Wenn man nur Zuschauen darf, ist das eben wesentlich uninteressanter, als wenn man selbst eingreifen kann. Aber ansonsten hat sich die Zeit hier sehr angenehm gestaltet. Ich habe viele Unterrichtseinheiten mit den Studenten zusammen verbracht und da deren Unterricht meistens nicht so lange gedauert hat, waren es durchaus sehr entspannte Tage.

Da mein Speertraining die letzten beiden Wochen ausgefallen ist, musste ich mir einen anderen Sport suchen und hab die Japaner zu einem Fußballduell herausgefordert. Hier gibt es schöne Kunstrasenplätze, die ähnlich groß wie die Hallenplätze in Mannheim sind - aber eben wesentlich besser in Schuss und trotzdem noch bezahlbar (knapp 10€ für zwei Stunden). Allerdings gelten hier gewisse Regeln auf dem Platz, eine Art Gentlemen's Agreement, was es meinen Mannheimer-Fußballkollegen evtl. schwer gestalten würde hier teilzunehmen. Es wird vor Beginn der Partien von allen das Versprechen abgenommen, schön sanft zu spielen, keine harten Bälle zu schießen, nicht zu Grätschen und auch weitest möglich auf Körpereinsatz zu verzichten. Also vollkommen konform mit meinem Spielstil....*hust hust*
Der Ottonormal-Japaner ist eben noch nen Ticken schlanker als ich und ein paar Zentimeter kleiner. Die kippen schnell mal um, selbst wenn man sanft spielt... o.O

Ansonsten gab es noch das Abschlusstrinken des Unifests. Tatsächlich gibts für jeden einzelnen Uniclub, der irgendwas organisiert hat, ein eigenes Event und dann nochmal ein großes für das gesamte 5. Jahr der Medizinstudenten. Da manche Studenten aber bei mehreren Ständen oder Veranstaltungen mitgeholfen haben, auch wenn sie nicht zum jeweiligen Club gehörten, war das für die ein ziemlicher Trinkmarathon in den letzten Tagen, da sie natürlich jedes Treffen mitnehmen mussten.
Das ist besonders erwähnenswert, da dieses Abschlusstrinken natürlich wie die meisten japanischen sozialen Ereignisse unter der Woche stattfindet. Wir waren in einem Restaurant wo es für zwei Stunden All-You-Can-Eat&Drink gab. Während dieser Zeit wurde gebechert was das Zeug hielt (für japanische Verhältnisse zumindest, aber diesmal habe ich einen Zahn zugelegt und konnte so vom Pegel her beinahe mithalten). Und danach ging es weiter, zu einer Studentin nach Hause - die ursprünglichen 50 Teilnehmer hatten sich mittlerweile auf 10 verringert - wo wir bis 4 Uhr morgens weiter getrunken haben...zumindest ich hab getrunken, die Japaner waren ziemlich fertig zu der Zeit... :/
Aber wie gesagt, das war Dienstag abends. Am nächsten Tag hatten alle um 9:00 Uhr Univeranstaltungen, wobei man sagen muss, dass die Anwesenheitspflicht hier nicht sehr streng ist. Es reicht, wenn man innerhalb von zwei Wochen vier Unterschriften sammelt und an manchen Tagen bekommt man zwei.
Trotzdem machte sich wohl ein Großteil der Japaner auf den Weg in die Uni, total fertig und verkatert natürlich und während der einzelnen Veranstaltungen immer wieder einnickend, aber hey, sie waren da.
Ich hingegen schwänzte den Vormittag des nächsten Tages. So wichtig war mir die nächste Endoskopieuntersuchung dann doch nicht und mein Kater wollte mir bis zum Abend auch nicht von der Seite weichen...

Das letzte Wochenende verbrachte ich mal wieder bei meiner Gastfamilie - das gibt mir immer ein wenig Ferienfeeling.
Und heute fing dann das gefürchtete Chirurgiequartal an.
Ich durfte erstmal in einer fünfstündigen Pankreas-OP teilnehmen, ab und an Magen, Darm oder Haken halten, was ja schon ganz spannend und interessant ist. Trotzdem glaube ich nicht, dass ich mich für die Chirurgie begeistern werden kann. Das ewige Rumgestehe und die Fisselarbeit ist einfach nichts für mich. Die Ärzte sind aber zumindest nett und entsprechen auch nicht dem deutschen Chirurgenklischee. Sergio hat weiterhin behauptet, dass hier einige gutes Englisch beherrschen würden, ich bin mal gespannt, ob ich die auch noch treffen werd!