Sobald das Flugzeug abheben würde, sollte diese Abschiedskette im Winde flattern, als würden eintausendundein Japaner mit ihren Taschentüchern zum Abschied winken. Und Sergio konnte dieses Spektakel mit jedem Blick aus dem Kabinenfenster beobachten...
Naja, ganz so dramatisch und physikalisch unmöglich war es dann doch nicht, trotzdem hat Sergio mich vor einer Woche verlassen. Jetzt bin ich den Schlitzaugen also wirklich ausgeliefert!
Die gemeinsam hier verbrachte Zeit wurde aber natürlich noch ausgiebig begossen.
Mit einigen japanischen Studenten zusammen sind wir zunächst Essen gegangen, danach mit etwas anderer Besetzung (die Japaner hatten sich immer nur für einen Teil des Abends angemeldet, so dass wir insgesamt mit fast 20 Leuten unterwegs waren, obwohl zu jeder Zeit meistens nur 8-10 anwesend waren) Karaoke grölen und zuletzt zu mir, um den Japanern zu zeigen, was es wirklich bedeutet zu "Trinken"! Von den am Ende sieben (oder acht...?) anwesenden, lagen fünf niedergestreckt am Boden, als die Nacht von den ersten Sonnenstrahlen vertrieben wurde.
Wobei ich gestehen muss, dass sie sich für Japaner ziemlich gut geschlagen haben und mein Brummschädel am nächsten Tag war auch nicht so ohne...
In der darauffolgenden Nacht (Samstag auf Sonntag) nahm Sergio den Bus zum Flughafen um 5:30 Uhr. Jaaaa, da hab ich noch geschlafen :D
Aber dafür machten wir zumindest einen Teil der Nacht zusammen durch und gingen um 1:00 Uhr nochmal schnell im Supermarkt einkaufen - sehr praktisch so ein Laden der immer auf hat - 365 Tage im Jahr.
Um in meiner Einsamkeit zu versauern, ließ ich mich von der Ärztin, die sich bisher die meiste Zeit um mich gekümmert hat, zum Udon-Kochen (Weizennudeln) einladen. Gemeinsam mit ihren drei Kindern und ihrem Ehemann rollte ich den Teig aus und schnitt ihn in dicke Fäden - die später zu schmackhaften Nudeln gekocht wurden.
Am selben Tag fand auch ein kleines Stadt-/Tempelfest statt, dass wir noch besuchten. Da noch über 20 Grad herrschten fühlte es sich beinahe wie ein deutscher Spätsommertag an. Mittlerweile ist es hier aber auch etwas abgekühlt und selbst tagsüber werden nicht immer 20 Grad erreicht...
Letzte Woche schloss ich auch meinen ersten Teil des PJs ab - die Herz-Kreislaufstation habe ich mit dem gestrigen Tag verlassen und mich jetzt zu den Gastroenterologen begeben.
Hier verbringe ich nur zwei kurze Wochen, bevor es dann in die Gastrochirurgie geht.
Bisher kann ich mich auch hier alles andere als beklagen. Es werden mir vorallem verschiedenste endoskopische Eingriffe gezeigt - hier sind die Japaner technisch sehr weit fortgeschritten, haben aber auch eine der höchsten Speiseröhren- und Magenkrebsraten (heißt hier übrigens auch Magenkrebsu :D ). Es sieht allerdings so aus, als würde ich in den zwei Wochen nur Zuschauen können, naja.
Am Wochenende fand hier das jährliche Unifest statt, das sich nicht sehr von deutschen Schulfesten unterscheidet (generell gilt die Uni in Japan eher als weiterführende Schule, im Gegensatz zu Deutschland wo sie eine vollends eigene Entität darstellt. Eine richtige Unterscheidung zwischen Schülern und Studenten gibt es z.B. nicht). Es gab verschiedenste Essensstände, Bandauftritte und ein Skill-Lab, in dem die Besucher alle möglichen medizinischen Tätigkeiten an Puppen ausprobieren konnten (Blut abnehmen, Trachealtubus legen, Ultraschall, etc.).
Diejenigen meiner Kommilitonen, die sich noch an das Thesima erinnern können: die ganzen Puppen dort sind auch japanischer Machart, hier werden die gleichen Dinger verwendet, meist aber etwas neuere Modelle. Und, wie gesagt, sie haben auch ne Puppe, an der man abdominellen Ultraschall üben kann, das war ziemlich cool.
Später wurde noch ein Case-Report Video gezeigt, in dem ich den Patienten gespielt hab. Das war etwas grotesk, da die Japaner von mir verlangt hatten, sie mit Tomatensaft zu bespucken...
Sobald ich das Video bekomme, werde ichs euch natürlich zukommen lassen ^^
Gekrönt wurde das Spektakel von einer "Theateraufführung" der verschiedenen Clubs. In Japan gibt es kaum Vereine, Sport- und Freizeitaktivitäten werden in der Regel von den Schulen oder Unis organisiert. So wird hier Fußball, Tennis, Judo, Kendo, u.v.m. angeboten.
Fast jeder dieser Clubs hat am Ende des Fests ein kurzes Stück aufgeführt, das meistens nicht länger als fünf Minuten gedauert hat. Es gab zwei wichtige Regeln für die Aufführung:
1. es sollte möglichst grotesk ausfallen
2. irgendein sexueller Kontext sollte vorhanden sein (und es treten nur Männer auf, die sich ggf. auch als Frauen verkleiden)
Selbst jetzt muss ich noch den Kopf schütteln wenn ich mich an die verschiedenen Vorstellungen erinnere...
Ursprünglich hat das tatsächlich einen traditionellen Kern, viel Sinn gibt es trotzdem nicht.
Ich wurde unter anderem Zeuge von "Tampon-Man", der zwei holde Jungmännerfrauen aus den Klauen der bösen "Blutungen" befreite, musste mir mitanschauen, wie eine japanische Großfamilie eine Inzestorgie startete (der "Onkel" hatte einen Dildo auf seinen Kopf geklebt...) und wurde gezwungen einen Japaner, der nichts anderes trug, als einen Netzanzug und ein kleines "Hello Kitty"-Pappschild, dass sein bestes Stück kaum bedeckte (bei 16° abends), bei Golfübungen zu beobachten.
Alle diese Vorführungen haben ungefähr das Niveau von dreizehnjährigen Kindern, die zum ersten Mal Aufklärungsunterricht in der Schule erleben.
Ich kann aber nicht leugnen, dass wenn man seinen Intellekt ausschaltet, man über einige Dinge doch herzhaft lachen konnte. Andere verstörten einen aber schlicht und ergriffen und ich werde diese grässlichen Bilder bis zu meinem Lebensende nicht vergessen können...soviel zum Thema "Erinnerungen an Japan"!
Zu eurem Glück habe ich von den Vorführungen aber keine Photos geschossen, ansonsten würde mein Blog aber auch die Jugendfreigabe verlieren...
Zum Abschluss noch ein paar Photos - mir wurde ja von verschiedenen Quellen zugetragen, dass ich zuviel schreibe und ich will euren zärtlichen Verstand bloß nicht überlasten!
Blick vom "Nigatsudo"-Tempel auf Nara (das große Dach hinter den Bäumen gehört zum Todaiji!)
Sergio vorm Schloss Hikone, unsere letzte gemeinsame Tour
Auf zur Herrschaft über Japan!
Abschiedsessen
Abschiedskaraoke
Abschiedsphoto
Beim Udonschneiden mit Zuschauer
Photo mit der Familie Hasegawa
Der Kashihara-Jingu, tatsächlich einer der größten Schreine Naras und nur 2 km entfernt von meiner Haustür
Was man leider kaum erkennt ist tatsächlich ein Pikachumobil!
Warum es hier rumgefahren ist, weiß ich nicht, ein Photo gabs trotzdem!!!!